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ISEK - Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft Populäre Kulturen

Zahl – Text – Bild. Schweizer Volkskalender von 1500 bis 1900

Fördergefäss

Schweizerischer Nationalfonds (SNF)

Förderungsdauer

07.2005–06.2006

Mitarbeiter

Teresa Tschui
Claudia Wehner Näff
Norbert Wernicke

Beschrieb

Nicht nur für seinen Käse, sondern auch für einen der ältesten schweizerischen Volkskalender ist das Appenzellerland bekannt. Der 'Appenzeller Kalender', der seit beinah 300 Jahren ohne Unterbrechung jedes Jahr wieder erscheint, ist der bekannteste, allerdings nicht der einzige Schweizer Volkskalender. In diesen broschüreartig, oft billig produzierten Heften finden sich neben dem eigentlichen Kalendarium, den astronomischen Aderlasstafeln und 'Prognostic' spätestens seit dem 18. Jh. auch Nachrichten aus aller Welt, Anekdoten und Histörchen, Witze und Rätsel, Haushaltstipps, Bauernregeln und ähnliches mehr. Unter Namen wie 'Basler Hinkender Bot', 'Kriegs-, Friedens- und Historien-Calende', 'Verbesserter neu und alter Glücks- und Unglücks-Calender' oder schlicht 'Jährlicher Haus-Rath' buhlten die Buchdrucker und Verleger um ein eher ungebildetes Publikum, das neben Bibel und Erbauungsbüchern besonders in der Zeit von 1700 bis 1830 kaum andere Arten von Literatur kannte als den Kalender. Doch trotz ihrer weit reichenden Bedeutung für illiterate Schichten sind schweizerische Volkskalender bisher noch nicht eingehend analysiert worden. Das Nationalfonds-Projekt 'Schweizer Volkskalender' sieht deshalb vor, alle in der Schweiz noch auffindbaren Exemplare deutschsprachiger, zwischen 1500 und 1900 in der Schweiz produzierter und verkaufter Volkskalender zu suchen, in eine Datenbank aufzunehmen und so einen Beitrag zur Analyse des gesamteuropäischen Phänomens 'Volkskalender' zu liefern. Hierbei sollen nicht nur die bibliographischen Angaben erfasst werden, sondern eine genaue Inhaltsanalyse jedes einzelnen Kalenderexemplars erfolgen. Die gefundenen textlichen und illustrativen Beiträge werden in einem feinmaschigen Schema kategorisiert, um einen Überblick über die Vielzahl der Kalenderbestandteile und ihre Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte zu bekommen. Die erstellte Datenbank wird es ermöglichen, einzelne Texte wie z.B. Anekdoten über Friedrich den Grossen, Nachrichten über Papstwahlen oder Kriegswirren aus dem Korpus sämtlicher Deutschschweizer Kalender (mit Standortnachweis der Bibliotheken) aufzufinden, oder z.B. über das Auftreten bzw. Verschwinden verschiedener Kalenderbestandteile wie des Aderlassmännchens Aussagen treffen zu können. Im Rahmen des Projekts, welches von drei DoktorandInnen unter der Leitung von PD Dr. Alfred Messerli durchgeführt wird, entstehen individuelle Dissertationen:

Die Arbeit von Teresa Tschui beschäftigt sich mit allen graphischen Elementen in Volkskalendern, wobei ein Schwerpunkt auf die Illustrationen gelegt werden soll, die Nachrichten, nichtliterarische oder literarische Texte optisch untermalen, erklären, verdeutlichen und hinterfragen. Das Text-Bild-Verhältnis ist in diesem Zusammenhang äusserst interessant. Die zeitliche Entwicklung der Bebilderung im Zusammenspiel von technischer Entwicklung, wirtschaftlichen Überlegungen und der Ausprägung des Publikumsgeschmacks soll reflektiert werden und zu der Frage nach Bedeutungen der optischen Elemente im Textmedium Kalender für Illiterate und für ungeübte Leser überleiten. Aufgrund seiner reichen Bebilderung wird vor allem der Appenzeller Kalender im Vergleich zu anderen Deutschschweizer Kalendern im Blickpunkt des Interesses stehen.

Claudia Wehner Näff richtet in ihrer Dissertation ihr Augenmerk auf den Kalender als Nachrichtenmedium und insbesondere auf im Kalender aufgegriffene transnationale Medienereignisse. Dies sind Geschehnisse, die über nationale Landesgrenzen hinweg das Interesse der Medien finden und zugleich auf gesellschaftspolitischer Ebene diskutiert werden. Die ausgewählten Ereignisse aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Verbrechen und Naturkatastrophen, darunter zum Beispiel das Erdbeben von Lissabon 1755, die Halsbandaffäre am französischen Hof 1785 oder der Sturm auf die Bastille 1789, werden hinsichtlich ihres Auftretens in den bearbeiteten Kalenderreihen, ihrer sprachlichen und textuellen Gestaltung, Bebilderung, Stellung innerhalb des Kalenders und auf mögliche Quellen untersucht, um die Frage zu beantworten, inwieweit historische Medienereignisse vom Kalendermacher als solche wahrgenommen und entsprechend medial aufbereitet wurden.

Literarische Texte werden in der Dissertation von Norbert Wernicke analysiert. Das Dissertationsprojekt hat sich vorgenommen, die Kalender bezüglich dieser 'freien' Texte zu untersuchen, die Frage nach dem Auftreten unterschiedlicher literarischer Genres zu beantworten und die Einbindung in die Mediengeschichte durch Vergleich von Texten mit Vorlagen in anderen Medien (Zeitungen, Schwankbücher, Fabel- und Exemplasammlungen) zu betrachten. Die in Kalendern auftretenden Texte sind dabei äusserst vielseitig und stehen in einem Spannungsfeld zwischen (wahrer) Nachricht und fiktiver Erzählung. Die Gestaltung der Texte, ihre Quellen und Bearbeitungen, ihre Einarbeitung in den Kalenderkontext, ihre Vermittlung an ein zum grossen Teil illiterates Publikum und die Interaktion der Erzählerfigur mit dem Lesepublikum bzw. seine Rechtfertigungsstrategien sollen an Kalendern besonders der Nordostschweiz untersucht werden.

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